Gilet Jaunes: 3. Teil Die Forderungen

Im 3. Teil des Artikels stellen wir die Forderungen der Gelbwesten vor, analysieren sie, diskutieren sie kritisch und gehen auf Perspektiven der Umsetzung ein.

Schon lange ist der anfängliche Grund, die Erhöhung der Steuern auf Benzin, in den Hintergrund getreten. Längst fordern die Gelbwesten viel mehr. Die Ablehnung von Steuern, die stärker von Kleinunternehmern gefördert wurde, ist einer allgemeinen Debatte über die Kaufkraft und um ein besseres Leben gewichen. Zu den konkreten Forderungen ist jene nach dem Rücktritt Macrons dazu gekommen.

Durch einen Online-Prozess wurde von den Gelbwesten eine Liste mit ca. 40 Forderungen abgestimmt und veröffentlicht. Interessant ist, dass die erste Forderung „Schluss mit Obdachlosigkeit: Dringend“ lautet. Das zeigt auf, dass die sozialen Schichten, die in der Gelbwestenbewegung aktiv sind, vom Abstieg bedroht sind und bereits jetzt die Zukunft bekämpfen, die ihnen drohen könnte. Im Folgenden beschreiben wir einzelne Forderungen thematisch sortiert.

Löhne, Renten, Arbeit

Etliche Forderungen betreffen die Kaufkraft für Arbeitende und Pensionierte. So wird eine Anhebung des Mindestlohns auf 1.300 Euro und der Mindestrenten auf 1.200 Euro sowie deren automatische Anpassung an die Inflation gefordert. Gleichzeitig sollen Löhne maximal 15.000 Euro betragen – eine klare Ansage gegen die hohen Gehälter der Top-ManagerInnen. Die Renten sollen solidarisch finanziert werden, die Sozialversicherung einheitlich für alle sein. Das Rentenantrittsalter soll auf 60 reduziert werden, Schwerarbeitende sollen mit 55 in Pension gehen dürfen. Die Zuschüsse für Kinderbetreuung sollen von 6 Jahre auf 10 Jahre erhöht werden. 

Zur Senkung der Arbeitslosigkeit wird die Schaffung von Arbeitsplätzen gefordert. ArbeiterInnen von ausländischen Firmen sollen französischen StaatsbürgerInnen gleich gestellt sein und gleiche Löhne erhalten, um so Lohn- und Sozialdumping zu unterbinden. Es soll mehr unbefristete Arbeitsverträge geben um Beschäftigung zu sichern. Alles in allem ein Programm für die arbeitenden Klassen, die vor allem den Geringverdienenden und den prekär Beschäftigten zu Gute kommt.

Steuern für die Reichen

Etliche Forderungen beinhalten eine (höhere) Besteuerung von Reichen, Konzernen und hohen Einkommen sowie eine Einkommensbeschränkung für PolitikerInnen. So sollen Abgeordnete nur einen Medianlohn erhalten und die lebenslangen Bezüge für Ex-Präsidenten abgeschafft werden. Hinterzogene Steuern der Reichen sollen eingetrieben und die Austeritätspolitik, die nur die Armen trifft, beendet werden. Mehr Geld soll stattdessen für die Erhöhung der Behindertenzulage und für psychisch Kranke in die Hand genommen werden. 

Umwelt und Raum

Entgegen den Vorwürfen einer anti-ökologischen Haltung, die Aufgrund der Ablehnung der Dieselsteuererhöhung auch in Teilen der Linken kursiert, widmet sich ein relevanter Teil der Forderungen ökologischen Themen und dem öffentlichen Eigentum. So sollen Steuerbefreiungen und Erleichterungen für Unternehmen abgeschafft, Kerosin und Schiffsdiesel besteuert und die Steuereinnahmen für einen ökologischen Umbau der Industrie verwendet werden. Statt Gewerbezonen am Stadtrand sollen Stadtzentren gefördert werden. Die Stilllegung öffentlicher Infrastruktur, wie unprofitabler Eisenbahnlinien, Postämter, Schulen und Entbindungsstationen, sollen beendet werden. Privatisierte Energieversorger, die die Preise erhöht haben, sollen wieder verstaatlicht werden, weiterer Verkauf öffentlichen Eigentums soll verboten werden.

Gegen die Regierung und die Eliten

Insgesamt ist der Katalog der Gelbwesten eine teilweise willkürliche Ansammlung von Forderungen, die versuchen die Lebenssituation des ärmeren Teils der Bevölkerung, in seiner ganzen Vielfalt, zu verbessern. In der Kritik an den Eliten, den großen Konzernen und den herrschenden PolitikerInnen zeigt sich die existierende Wut der AktivistInnen. Das Programm ist natürlich nicht repräsentativ für alle Gelbwesten, es wurde aber grundsätzlich mitgetragen und hat für keine größeren Konflikte innerhalb der Bewegung gesorgt. Laut Umfragen stehen rund 80% der französischen Bevölkerung der Gelbwestenbewegung und ihren Forderungen zustimmend gegenüber.
In der Praxis gab es keine Verhandlungen über das Programm. Eine Gelbweste hat das Gespräch mit dem Minister abgebrochen und verlassen, nachdem seine Forderung nach Live-Übertragung des Gesprächs im Fernsehen, nicht nachgekommen wurde. In den Vollversammlungen werden oft konkrete, den lokalen Gegebenheiten angepasste Forderungen diskutiert. Bei den Demonstrationen in Paris war nicht die Verhandlung der Forderungen geplant, sondern der Marsch auf den Elysee-Palast angekündigt und der Rücktritt des Präsidenten gefordert.

Die Forderung „Macron démission“ („Macron tritt zurück“) erinnert viele an die von Rechten gerufene Parole „Merkel muss weg“. Dabei steht die Kanzlerin oder der Präsident für ein System das abgelehnt wird. Die oft sichtbarste Kritik an Merkel ist jene an ihrer Flüchtlingspolitik, wohingegen Macron von den meisten als Sinnbild neoliberaler Politik im Dienste der Reichen abgelehnt wird. Natürlich sind nicht einzelne Repräsentanten des Staates und des kapitalistischen Systems allein verantwortlich. Die Aufgabe der radikalen Linken ist es den Wunsch der DemonstrantInnen einen verhassten Repräsentanten loszuwerden, in Forderungen umzuwandeln, die das ganze System für das diese Person steht, zu verändern und die Forderungen dahingehend weiter zu entwickeln. Es gilt an der Forderung „Macron démission“ anzuknüpfen und von dort aus weiter zu gehen und den Weg zu einem Ende der kapitalistischen Ordnung aufzuzeigen.

Referendum als Perspektive?

Wie oben bereits erwähnt, stellen sich AktivistInnen die Frage, wie sie direkter auf der politischen Ebene eingreifen können. Eine Forderung dazu, die sich auch im Katalog wieder findet, ist die Umsetzung von Volksentscheiden. Gesetzesvorschläge, für die eine bestimmte Anzahl Unterschriften gesammelt wurden, sollen verbindlich der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt werden. Ähnliche Vorschläge kommen in Österreich von der FPÖ, in der Schweiz existieren ähnliche Formen sogenannter direkter Demokratie schon lange. Tatsächlich ist es in Frankreich sowohl die extreme Rechte von Le Pen, als auch die Linke von Jean-Luc Mélenchon, die diese Ideen vor sich her trägt. 

Auch wenn die Überlegung, direkter auf der politischen Ebene eingreifen zu wollen eine richtige ist, ist dieser Weg eine Sackgasse in den Institutionen. Nicht umsonst wird der Vorschlag von politischen Kräften gebracht, die auf eine Versandung und Institutionalisierung der Bewegung setzen und die das Momentum, das die Bewegung erzeugt hat, dann für ihre eigenen politischen und populistischen Zwecke nutzen will. In der Schweiz können wir sehen, wie die Reichen mit Kampagnen und Unterstützung der Medien bei den Volksinitiativen immer wieder ihre Interessen durchsetzen und die Arbeitenden zum Beispiel dazu bringen, gegen mehr Urlaub abzustimmen. Am einfachsten ist das, wenn keine Bewegung von unten für die Forderungen kämpft.

Unsere GenossInnen argumentieren bei Kreisverkehren und lokalen Vollversammlungen, dass die Besetzungen und Proteste das Kräfteverhältnis dafür aufgebaut haben, um gehört zu werden. Wenn die aktive Bewegung zu Gunsten von institutionellen Wegen aufgegeben wird, fehlt eben dieses Kräfteverhältnis und dann wird es auch nicht gelingen die Forderungen auf diesem Wege durchzusetzen. Auf die Suche nach Möglichkeiten politischer Einflussnahme wird geantwortet, dass die Besetzungen und Vollversammlungen selbst zu Formen der direkten Demokratie und der Ermächtigung der Arbeitenden weiter entwickelt werden müssen.

Migration

Bezüglich Migration gibt es diffuse Forderungen, die an den politischen Diskursen und einem Glauben an die Rechtsstaatlichkeit anknüpfen. So werden die anständige Behandlung von AsylwerberInnen und ihr Recht auf Wohnung, Sicherheit, Ernährung und Bildung gefordert. Gleichzeitig werden Aufnahmelager in Drittstaaten befürwortet und die Rückführung abgelehnter AsylwerberInnen betont. Die Ursachen der von PolitikerInnen aller Lager oft betonten erzwungenen Migration sollen offen gelegt werden. Die Forderung nach Integration hat einen starken Einschlag der Unterordnung unter die angeblich französische Kultur und deren Werte.

Aus einer linken Perspektive, die sich bemüht die Verbindung zwischen Kapitalismus und Migration aufzuzeigen, internationale Solidarität fördert und den gemeinsamen Klassenkampf von Arbeitenden, die schon lange oder erst kurz in einem Land leben, propagiert und organisiert und für globale Bewegungsfreiheit eintritt, sind diese Forderungen natürlich zu kritisieren. Ihnen ist eine andere Perspektive gegenüberzustellen und in der Praxis zu entwickeln. Im Hinblick auf die aktuelle Hetze rechter PolitikerInnen und Medien gegen MigrantInnen und Geflüchtete und die Anpassung daran, auch durch linke Kräfte wie zum Beispiel „France insoumise“ von Mélonchon, sind diese Positionen allerdings kaum verwunderlich.
Für eine Bewegung die vorwiegend in Gegenden aktiv ist, in denen Le-Pen sehr gute Wahlergebnisse erzielte, schockieren diese Positionen nicht. Gleichzeitig gibt es zum Beispiel gerade in Vorstädten Gelbwestenversammlungen, die in erster Linie von MigrantInnen und MuslimInnen getragen werden. Fast jedeR kann eine Gelbweste sein, die Bewegung ist relativ offen. Auch die Hymne der Bewegung „Gilet Jaune“ von Kopp Johnson ist von einem französischen Migranten geschrieben und wird vielerorts gehört. Für die französische radikale Linke stellt sich die Frage, welche Forderungen innerhalb der Bewegung an Priorität gewinnen und auf den Demonstrationen, den Vollversammlungen und im Fernsehen vertreten werden. Damit eben nicht die migrationsfeindlichen Forderungen überhand gewinnen, ist es so wichtig, dass sich überall Linke an der Bewegung beteiligen, um den Rechten Paroli zu bieten und die Verbindung zwischen Flucht und Kapitalismus herzustellen und eine internationalistische Perspektive aufzuzeigen.

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