Fachkräftemangel: „Weil der Mensch ein Mensch ist“?

Trotz der Reden von „Digitalisierung“ sind es arbeitende Menschen, die allein die Profite produzieren und die werden gerade knapp. So häufen sich Klagen von Unternehmen über einen Mangel an (qualifizierter) Arbeitskraft. Die Boston Consultig Group behauptet, dass dies die Unternehmen jährlich 80 Milliarden koste … was natürlich kaum verifizierbar ist. Sind wir Arbeitenden denn zu wenig? Oder geht es um ihre Profite?

In der Industrie, in den Krankenhäusern oder in Schulen: überall beklagen sich Chef:innen, dass sie keine Leute für die angebotene Arbeit finden. Aber oft dient das Gejammer der Unternehmen nur dazu die schlechten Arbeitsbedingungen und Löhne zu verschleiern. Wenn zum Beispiel Krankenpfleger:innen nach ein paar Jahren den Beruf verlassen, spricht das Bände. Während der Streiks für
bessere Arbeitsbedingungen an den Unikliniken in NRW und Berlin wurden Zahlen bekannt, dass Zehntausende sofort in ihren alten Beruf wechseln würden – wenn sie es sich leisten könnten.

Der Fachkräftemangel ist vor allem ein Mangel an ausgebildeten Menschen. Denn Ausbildung kostet die Unternehmen Geld, bevor sie Profite bringen. Besonders hochqualifizierte Berufe werden daher aus den Steuern der Arbeitenden von den Unis geleistet. Und es sind die Unternehmen, die bei Löhnen blockieren. Von den meisten Ausbildungsgehältern kann man in den Großstädten kaum eine eigene Wohnung zahlen, seit der Inflation kommt man auch im „Hotel Mama“ immer schlechter über die Runden. Die Krokodilstränen über die Engpässe bei Fachkräften zielen also eher darauf, den Staat zu drängen, den Unternehmen ausgebildete Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen. Dafür sollen Schulen und Unis immer mehr auf die Wünsche der „Wirtschaft“ ausgerichtet werden.

Hinter dem Gejammer über Fachkräftemangel steckt aber auch eine Idee, die so alt ist wie der Imperialismus selbst: sich im Ausland zu versorgen.

„Bitte gute Qualität und auch billig!“

Die Düsseldorfer Uniklinik warb nach dem Brexit 2019 aktiv polnische Arbeitskräfte aus Großbritannien ab. Die Berliner Charité kauft Kolleg:innen aus Indonesien, Tunesien oder Indien ein. Ob deren Fähigkeiten in ihren Herkunftsländern fehlen, interessiert trotz Phrasen von „ethischer“ und „fairer“ Anwerbung nicht wirklich. Da die Bundesagentur für Arbeit oft nicht genug Arbeitskräfte „liefert“, greifen nicht nur Krankenhäuser wie die Charité auf private Vermittlungsfirma zurück, die vor der Einreise „Fachkenntnisprüfungen“ organisiert. So schützt sich die Charité gegen „böse Überraschungen“ (und vielleicht auch kämpferische Kolleg:innen). Eine andere Möglichkeit besteht darin,
Kolleg:innen nach ihrer Ankunft in eine „Anpassungsqualifizierung“ zu packen. Da diese nur ein paar Monaten dauert, hat sich Deutschland die dreijährige Ausbildung gespart und die neuen
Kolleg:innen bekommen zudem für mindestens ein Jahr weniger Lohn als die „Einheimischen“.

Diese Beispiele sind ein Modell, von dem alle Unternehmer:innen der imperialistischen Metropolen träumen: Fachkräfte im Ausland abwerben und sich die Kosten der Ausbildung
sparen.

Wer nicht passt muss raus?

Die deutsche Regierung will die Krise vor allem durch Zuwanderung der „richtigen Ausländer“ lösen. Gesucht sind bereits ausgebildete Fachkräfte, am besten mit Deutschkenntnissen. Anwerbeabkommen mit gezielten Ländern werden ironischerweise genau in einer Zeit gefordert, wo nicht nur Rechtsextreme von der angeblichen „Gefahr der Einwanderung“ schwafeln. Anfang April sprach der österreichischer Innenminister von „wachsendem Migrationsdruck“ gegen den er „weiter konsequent auf die Asylbremse […] steigen“ wolle. In Deutschland nahmen unter der Ampelkoalition die Abschiebungen deutlich zu. Während der Imperialismus offene Grenzen für Waren und Kapital fordert, sortiert er an den Grenzen Menschen sehr genau aus – „die guten ins Töpfchen, die schlecht ausgebildeten zurück ins Elend“. Wir haben nichts gemein mit dieser zynischen Logik und kämpfen weiter für eine Welt ohne Grenzen, in der man lebt und arbeitet, wo man will. Dieser Kampf ist mit dem Kampf gegen die Ausbeutung des Menschen untrennbar verbunden.

Lorenz Wassier, Berlin &
Jakob Erpel, Düsseldorf

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