Das Profitfieber in den PSA-Fabriken

Am Montag, den 16. März hat PSA [der Autokonzern hinter den Marken Peugeot, Citroën und Opel] die etappenweise Schließung seiner europäischen Montagewerke angekündigt, darunter derjenigen in Frankreich: Mulhouse (am 16. März), Poissy, Sochaux, Rennes (am 17. März) und Hordain-Sevelnord (am 18. März). Was die anderen Fabriken angeht, die Ersatzteile oder Vorerzeugnisse fertigen, so will PSA sie länger am Laufen halten, vor allem da es einfacher ist, Einzelteile einzulagern als ganze Fahrzeuge. PSA ist noch dabei festzulegen, wie sie weiter funktionieren oder ob und wann sie schließen sollen. Das betrifft die Standorte Caen, Sept-Fons, Tremery, Metz, Charleville-Mézières und Vesoul (wobei es am letztgenannten Standort drei Corona-Fälle gab, von denen die Presse am 17. März berichtete!)…

Trotz der Ausgangssperre hat die Werksleitung von PSA Saint-Ouen ihre Beschäftigten bis einschließlich der Frühschicht von Mittwoch, dem 18. März, in die Fabrik kommen lassen, obwohl der Standort kurz vor der endgültigen Schließung steht und kaum noch Produktion das Werk verlässt. Bei PSA Caen hat die Werksleitung sogar den Beschäftigten erklärt, dass sie Ende dieser Woche das Werk teilweise schließen würde, und hat zugleich Freiwillige gesucht, die ab dem 23. März schon Teile für Juni vorproduzieren!

Während die ArbeiterInnen weiterhin ein großes Risiko auf sich nahmen oder nehmen um zu produzieren, machen die Chefs und Werksleitungen in häuslicher Sicherheit Home Office und geben denen, die vor Ort bleiben, Anweisungen. In diesen Zeiten einer weltweiten Gesundheitskrise hat die Konzernführung ein klares Ziel: die Aufrechterhaltung der Profite. Dafür sollen die Fabriken so lange wie möglich weiter laufen und es soll der Staat zur Kasse gebeten werden, Unterstützungsgelder zu zahlen.

Schon am 3. März, drei Tage nachdem in den ersten neun Gebieten im Departement Oise von der Regierung Ausgangssperren verhängt wurden, hat Carlos Tavares (Vorstandsvorsitzender von PSA) schon gegenüber der Presse deutlich gemacht, worum es ihm geht: „PSA hat die Folgen des Coronavirus im Griff. […] Die Auftragslage ist sehr gut bis exzellent. […] Das verstärkt nur den Druck in unseren Fabriken.“ Gemeint ist der „Druck“ der AktionärInnen und ihrer Profiterwartungen.

Und in China selbst hat PSA in der Öffentlichkeit nicht mit seiner Absicht hinterm Berg gehalten, ab dem 11. März seine Fabriken in der Region Wuhan (dem Epizentrum des Coronavirus) u. a. mit Freiwilligen aus Europa wieder anlaufen zu lassen.

Unverantwortlich, aber mit Ansage – eine Chronik

Die Führung von PSA agiert vollkommen intransparent und hat die zynische Entscheidung getroffen, ungeachtet aller Gefahren um jeden Preis zu produzieren.

Bei PSA Poissy musste man bis zum 3. März neun Tage auf die Mitteilung warten, dass eine der beiden WerksärztInnen sich seit dem 24. Februar in häuslicher Quarantäne befand, nachdem sie aus Italien zurückgekommen war. Nachdem die Regierung bereits am 29. Februar neun Gemeinden des Departements Oise als Risikozonen unter Ausgangssperre gestellt hatte, hat die Werksleitung Beschäftigte aus diesen Städten bis zum 3. bzw. 4. März in der Fabrik arbeiten lassen.

Am Montag, dem 9. hat die Konzernleitung einen ersten Corona-Fall in der Motorenfabrik PSA Tremery in der Nähe von Metz (1.500 Beschäftigte) zugegeben: ein Staplerfahrer. Nur zwei Beschäftigte wurden vorsichtshalber nach Hause geschickt, obwohl sehr viel mehr Personen mit ihm Kontakt hatten.

Am Dienstag, den 10. März hat die Konzernleitung öffentlich gemacht, dass ein zweiter PSA-Beschäftigter aus der Fabrik PSA Mulhouse infiziert war. Seit acht Tagen war er krankgeschrieben, er befand sich unter künstlicher Beatmung auf der Intensivstation im Krankenhaus in einem kritischen Zustand. Das elsässische Departement Haut-Rhin ist einer der Schwerpunkte der Infektion. Und obwohl sich das Departement damals schon in der verschärften Phase 2 der Epidemie befand und Versammlungen von über 50 Personen bereits verboten waren, lief die Fabrik von PSA Mulhouse (6.000 Beschäftigte) weiter, als wäre praktisch nichts los, mit ArbeiterInnen, die nebeneinander am Fließband standen… Macht das Coronavirus etwa am Werkstor halt? Und sind die FließbandarbeiterInnen, die den ganzen Tag weniger als einen Meter voneinander entfernt stehen, allein dadurch immun, dass sie zu PSA gehören?

Ob in Tremery oder Mulhouse, die Werksleitung hat nicht viel gemacht: Sie hat die Kantinen geschlossen, die ArbeiterInnen aufgefordert, direkt im Blaumann zu kommen, ohne die Umkleiden zu benutzen, und sie hat sie aufgefordert selbst bei sich Fieber zu messen, ehe sie in die Fabrik kamen. Sie hat viele Mitteilungen herausgegeben um zu erklären, wie man nießen und wie sich kontaktlos begrüßen solle … Sie hat kaum die Reinigung der Toiletten verstärkt und kaum Desinfektionsgel verteilt… was schon unzureichende (und wirklich billige!) Maßnahmen sind.

Am Mittwoch, dem 11. März haben ca. 15 Beschäftigte aus dem Montagelager ihr Arbeitsverweigerungsrecht ausgeübt1, nachdem einer ihrer Kollegen am Morgen mit beunruhigenden Symptomen nach Hause geschickt wurde, und haben bessere Schutzmaßnahmen gefordert. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich fast fünfzig Beschäftigte in häuslicher Quarantäne und die Werksleitung hat LeiharbeiterInnen kommen lassen, um die Beschäftigten zu ersetzen, die wegen Quarantäne oder wegen Kinderbetreuung fehlten. Es ging darum, um jeden Preis zu produzieren!

Am Donnerstag, dem 12. März waren es – immer noch bei PSA Mulhouse – 10 Arbeiter der Produktionslinie für Armaturenbretter, die ihr Arbeitsverweigerungsrecht ausübten. Und das zu Recht: es ist eindeutig, dass wir nicht auf die Werksleitung zählen können um uns zu schützen, sondern nur auf unsere kollektive Gegenwehr.

Am Montag, dem 16. März hat die Firmenleitung einen dritten Corona-Fall bei PSA Tremery bestätigt. Erst daraufhin – und somit mehrere Tage später als Ferrari und Fiat in Italien und als SEAT in Spanien – kündigte PSA nun endlich die Schließung der Montagewerke an (siehe oben), aber nicht die aller Fabriken. PSA reduziert seine Geschäftstätigkeit, weil die Lieferketten durcheinander geraten sind, gesundheitliche Erwägungen spielen kaum eine Rolle.

Gesundheitsschutz“ ist gut, „wirtschaftliche Sicherheit“ ist besser

Für die Leitung von PSA hat die Maskerade mit dem Gesundheitsschutz lang genug gedauert, sie bereitet sich schon auf die Möglichkeit vor, die Montagewerke von Poissy und Mulhouse am 27. März oder am Montag, dem 30. März wieder anlaufen zu lassen. Sie verschickt SMS, um im Vorfeld dieser Termine Freiwillige für die Bereiche Nachbesserung und Instandhaltung zu finden. Um sich abzusichern (und ein bisschen Augenwischerei zu betreiben), fordert PSA die Beschäftigten außerdem seit mehreren Tagen dazu auf, zur Arbeit ein Datenblatt mit ihren Fiebermessungen mitzubringen.

In einer Mitteilung vom 18. März hat die Gewerkschaft CGT die Lage bei PSA wie folgt beschrieben:

„An den Standorten, wo keine Fertigung stattfindet, müssen alle Beschäftigten, die kein Home Office machen können, zur Arbeit kommen. Die Konzernleitung hat erklärt, dass sie nicht ‚den Lieferengpässen von Zulieferern unterliegen‘.

Das Werk in Caen, das Vorderradaufhängungen herstellt, wird bis zum 22. März weiter laufen, da es das spanische Vigo-Werk beliefert, bei dem die Konzernleitung eine längere Produktion durchsetzen konnte.

Der Standort Vesoul, der ein gigantisches Ersatzteillager ist (3.000 Beschäftigte) hält 20 % seiner Aktivität aufrecht, da die noch offenen KFZ-Werkstätten beliefert werden müssen. Das betrifft normalerweise knapp 800 Beschäftigte. Fast 40 Arbeiter hatten ihr Arbeitsverweigerungsrecht ausgeübt. Ihnen wurde mit Kündigung gedroht und sie haben die Arbeit wieder aufgenommen. Aber angesichts der Gefahr, dicht gedrängt arbeiten zu kommen, hat sich die Hälfte von ihnen krankschreiben lassen. Die Werksleitung hat den anwesenden Beschäftigten vollkommen unzulängliche Staubschutzmasken zur Verfügung gestellt.“

Doch der Staat eilt PSA bereits zu Hilfe

Vor diesem Hintergrund hat die Konzernleitung am Mittwoch, dem 18. März, Besprechungen mit den Betriebsräten einberufen, auf denen sie erklärt hat, dass sie die Produktion mit Genehmigung der Regierung um den 30. März wieder aufnehmen möchte.2 Sie will die für die Produktion verlorenen Tage mit Überstunden wieder reinholen. Bis dahin plant sie Kurzarbeit, bei der die Beschäftigten vom Staat 84 % ihres Nettolohns erhalten. Die Beschäftigten würden doppelt verlieren: Sie hätten 16 % weniger auf ihren Lohnzetteln und ihre Steuergelder würden als Kurzarbeitergeld verwendet, während PSA… gar keine Ausgaben hätte.

Das darf nicht akzeptiert werden. Fordern wir die 100-%ige Lohnfortzahlung für alle: für Befristete, für Beschäftigte der Zulieferbetriebe und für LeiharbeiterInnen, sowie Bestandsschutz aller prekären Arbeitsverträge! Mit 3,5 Mrd. Profit im Jahr 2019 und einer Kriegskasse von 15 Mrd. (die kürzlich aufgestockt wurde) sowie massiven Subventionen hat die PSA-Konzernleitung locker das Geld dafür.

Hersh Ray, 19. März 2020 (14 Uhr)

1 Auch in Deutschland kann die Arbeitsleistung „zurückbehalten“ werden, wenn das Unternehmen seiner Fürsorgepflicht nicht nachkommt und die Sicherheit am Arbeitsplatz nicht gewährleistet ist. Anmerkung des Übersetzers

2 Da ist PSA nicht allein: Bei Renault-Sovab in Batilly in der Nähe von Metz will die Geschäftsführung schon am 23. März die Produktion wieder aufnehmen unter dem Vorwand (zitiert in der Zeitung Le Republicain Lorrain): „Der Staat hat nie die industrielle Fertigung verboten. Sovab bricht keinerlei Gesetz und wir stehen in Austausch mit den Behörden.“

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