Die deutsche Wirtschaft in der Corona-Krise

International Revolutionary Convergence V.1, Aug. 2020

Deutschland ist das Land innerhalb Europas mit den größten Milliarden-Paketen im Zusammenhang mit der Corona-Krise. Auch wenn einzelne Maßnahmen soziale Notlagen lindern oder die zeitweilige Absenkung der Mehrwertsteuer von 19 % auf 16 % auch ärmeren Haushalten zugute kommt, so wird die Corona-Krise und die politischen Reaktionen von Regierung und Unternehmen die Klassenspaltung in Deutschland massiv verschärfen. Während der Löwenanteil der Milliarden-Pakete an die großen Konzerne fließt, bedeutet die Krise für die Arbeitenden schlechtere Arbeitsbedingungen und Arbeitslosigkeit.

Das Infektionsgeschehen

Die Corona-Infektionszahlen sind – über ganz Deutschland betrachtet – inzwischen niedrig.

Stand 9. 7.: Insgesamt knapp 200.000 bestätigte Infektionen in Deutschland seit Beginn der Pandemie, knapp 184.000 davon genesen, 9.054 Menschen sind gestorben.

Die Corona-Maßnahmen sind flächendeckend gelockert worden und die bürgerlichen Experten der verschiedenen Wirtschaftsinstitute gehen davon aus, dass der Tiefpunkt der wirtschaftlichen Krise hinter uns liegt.

Aber dafür wird umso deutlicher, wie gerade in Branchen mit schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen das Infektionsrisiko für die Arbeitenden massiv höher liegt. Der aktuelle Skandal um die Fleischfabriken des Großkonzerns Tönnies zeigt all die Widerwärtigkeiten des kapitalistischen Systems wie unter einer Lupe. Tönnies betreibt die größte Schlachterei Europas mitten in Deutschland. Die Produktion läuft nur zum Teil für den deutschen Markt, wie alle großen Unternehmen expandiert auch Tönnies ins Ausland. Sein nächstes Ziel: der chinesische Markt.

Die Arbeitenden kommen aus Osteuropa. Die prekären Wohn- und Arbeitsverhältnisse in der ganzen Branche sind lange bekannt. An „Selbstverpflichtungen“, das zu verbessern, hat es nie gefehlt. Tönnies hat während der ganzen Corona-Krise weiter produziert, ganz legal mit Ausnahmegenehmigung der Behörden. Auch die Abstandsregeln mussten nicht eingehalten werden, denn Tönnies galt als „systemrelevant“. Nun ist Covid-19 unter den Beschäftigten explodiert und über ganze Landkreise wurde wieder ein Lockdown verhängt. Eine Schweinerei am Rande: Tönnies‘ Berater während der Corona-Krise war der frühere Chef der Sozialdemokraten und Ex-Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der dafür pauschal 10.000 Euro pro Monat erhielt.

Auch wenn in Deutschland die Zahlen der Infektionen nie so explodiert sind, dass das Gesundheitssystem überfordert gewesen wäre, rechnen MedizinerInnen mit einer zweiten Welle spätestens im Herbst.

Auswirkungen auf die Wirtschaft

Für die Wirtschaft ist seit Beginn der Corona-Krise nichts drängender, als die Produktionen überall wieder hochzufahren und die „verlorenen“ Monate aufzuholen. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall erwartet, dass die deutsche Wirtschaft aus der Krise „gestärkt hervor geht“.

In der zweiten Märzhälfte ist die Wirtschaftsleistung (BIP) um rund 15 % eingebrochen. Die Prognosen für 2020 gehen davon aus, dass wahrscheinlich ab 3. Quartal die Wirtschaft wieder wachsen wird und insgesamt auf das Jahr betrachtet mit einem Minus von 7,1 % zu rechnen ist. Die WirtschaftsvertreterInnen werden nicht müde, auf dieses „Drama“ hinzuweisen und auf staatliche Finanzierungsprogramme und Verschlechterungen bei den Arbeitsbedingungen zu drängen. Mit der ständigen Drohung von massivem Stellenabbau – und das sind nicht nur Drohungen – soll ein Klima geschaffen werden, in denen die Beschäftigten bereit sind, große Einschnitte hinzunehmen. Dass die Gewerkschaftsvertreter sich dabei ganz auf die Seite der großen Konzerne gestellt haben und viele der Forderungen der Wirtschaft – vor allem in der Autoindustrie – unterstützen und wiederholen, macht es für die Arbeiterklasse in Deutschland sicherlich nicht leichter.

Deutschland ist in Europa Vorreiter, was die finanziellen Hilfen für Unternehmen angeht. Bis Anfang Juni hatte die Bundesregierung 1.200 Milliarden Euro an Hilfen zur Verfügung gestellt. Das sind teilweise direkte Zahlungen, aber auch Kredite und Garantien. Anfang Juni kam dann ein Konjunkturpaket mit 130 Milliarden hinzu. Von den Geldern profitieren auch kleine Betriebe und Solo-Selbständige, aber die Großkonzerne sind die mit Abstand größten Profiteure. Ihnen stehen neben den Hilfspaketen noch andere Möglichkeiten zur Verfügung, wie im Fall der Lufthansa direkte staatliche Hilfen von 9 Milliarden Euro. Den großen Konzernen in Deutschland stehen dazu noch die Corona-Hilfsprogramme der Europäischen Union und ihrer vielen Institutionen zur Seite. Es ist schwer, den Überblick zu behalten. Zuletzt haben die deutsche Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Macron ein europäisches Konjunkturpaket von 750 Milliarden Euro angeschoben.

Die wirtschaftliche Krise in Folge der Corona-Krise trifft die deutsche Wirtschaft ganz unterschiedlich. Nur wenige Industrie-Betriebe haben überhaupt geschlossen und davon haben die meisten die Produktion erst runtergefahren, als die globalen Lieferketten abrissen. Manche Betriebe hatten Produktionsschwierigkeiten, weil die Eltern ihre Kinder zu betreuen hatten und alternative Betreuungsmöglichkeiten lange fehlten. Anderswo blieben Beschäftigte lieber zu Hause und ließen sich krank schreiben, statt sich angesichts fehlenden Arbeitsschutzes dem Virus auszusetzen. Aber die Schließungen bzw. Produktionseinschränkungen blieben auf sehr wenige Wochen beschränkt. Der Automobilsektor, mit 800.000 direkt Beschäftigten einer der größten in Deutschland, klagte schon vor Corona über eine weltweite Absatzkrise und hohe Kosten für die Umstellung auf Elektro-Autos und stärkere Digitalisierung der Produktion. Schon vor Corona hatte praktisch die ganze Branche Stellenabbau-Programme aufgelegt und die Streichung Hunderttausender Jobs angekündigt und auch damit begonnen sie umzusetzen. Aber vergessen wir nicht, dass beispielsweise Volkswagen – trotz „Krise“ – 2019 seine weltweiten Verkäufe gesteigert hat! Und die Großen der Branche haben trotz alledem hohe Gewinne gemacht, wenn sie sie nicht sogar – wie Volkswagen – gesteigert haben. Wenn also die Autoindustrie nun in Anbetracht der Corona-Krise weitere staatliche Hilfen verlangt und die Arbeitsrechte schleifen will, dann ist Corona nur eine Gelegenheit mehr, die Gewinne zu retten oder sogar zu steigern. Das soll nicht heißen, dass es nicht „Verlierer“ geben wird und einige Unternehmen pleite gehen und verschwinden werden, vor allem in der Autozulieferindustrie. Aber das ist eine Folge des unbarmherzigen Kampfes in der globalen Autoindustrie. „Verlierer“, das sollen vor allem die Beschäftigten werden.

Auswirkungen auf die Arbeitenden: Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit

Sofort mit der Corona-Krise stiegen die Zahlen der Beschäftigten in Kurzarbeit und die Arbeitslosenzahlen.

„Kurzarbeit“ bedeutet in Deutschland, dass das Unternehmen die Beschäftigten anweist, für eine gewisse Zeit weniger oder gar nicht zu arbeiten (letzteres nennt man „Kurzarbeit Null“). Die gearbeiteten Stunden werden bezahlt, für den Lohnausfall springt der Staat zu 60 % bzw. 67 % ein. In der Corona-Krise hat die Regierung beschlossen, dass dieses „Kurzarbeitergeld“ nach einem Vierteljahr auf 70 %/77 % und nach einem halben Jahr Kurzarbeit auf 80 %/87 % erhöht wird. Es wird formal betrachtet aus der Arbeitslosenversicherung bezahlt, das sind also Teile des Lohns, die die Beschäftigten mit jeder Lohnabrechnung automatisch in die staatliche Arbeitslosenversicherung einzahlen. In vielen größeren Betrieben der Metallindustrie stocken die Unternehmen das Kurzarbeitergeld auf, aber das ist längst nicht die Regel. Die Lohnverluste sind enorm, vor allem in den Branchen, wo die Löhne ohnehin sehr niedrig sind. Beachten wir, dass innerhalb der letzten 15 Jahre in Deutschland ein riesiger Niedriglohnsektor entstanden ist! Über den Umfang der Kurzarbeit gibt es bislang nur vorläufige Zahlen. Die Bundesagentur für Arbeit hat Anfang Juli gemeldet, dass 6,83 Millionen Menschen im April Kurzarbeitergeld bekommen hatten; im März waren es 2,49 Millionen. Insgesamt kann man davon ausgehen, dass jeder Fünfte versicherungspflichtig Beschäftigte in Kurzarbeit geschickt wurde. Die Reduzierung der Arbeitszeit wird sehr unterschiedlich gewesen sein; im Durchschnitt waren es 50 %. in vielen Fällen werden die Unternehmen die Kurzarbeit genutzt haben, schlicht über den Staat einen Teil der Löhne zu finanzieren. Dass auch Volkswagen und Lufthansa und andere Konzerne dieser Größe massenhaft die Beschäftigten in Kurzarbeit geschickt und die Löhne vom Staat haben bezahlen lassen, hat Viele in Deutschland empört. Aber die Einheit aus PolitikerInnen, Unternehmen und GewerkschaftsvertreterInnen, die alle die Kurzarbeit als „Lösung“ anpreisen, hat dazu geführt, dass die Empörung sich nicht nach außen gezeigt hat. Und in Anbetracht der Risiken durch Corona haben sicherlich nicht Wenige die Kurzarbeit vorgezogen, statt sich Gesundheitsrisiken auszusetzen.

Seit März sehen wir auch einen rapiden Anstieg der Arbeitslosigkeit. Im Juni lag die Arbeitslosigkeit offizielle bei 6,2 % bundesweit, mit 2,85 Millionen Menschen. In den drei Monaten von März bis Mai sind krisenbedingt 638.000 Arbeitslose hinzugekommen. Am stärksten betroffen sind die Leiharbeiter. Massiven Stellenabbau gab es im Gastgewerbe und der Metall- und Elektroindustrie. Alle Prognosen gehen davon aus, dass die Arbeitslosigkeit bis weit ins nächste Jahr weiter steigen wird (parallel zur „Erholung“ der Wirtschaft).

Kein Tag vergeht, an dem nicht ein großes Unternehmen Entlassungen ankündigt. Das sind oft Stellenabbauprogramme, die schon vor Corona aufgelegt und angekündigt wurden, die aber jetzt verschärft werden. Viele neue Stellenstreichungen kommen hinzu. Die Corona-Krise wird von den Unternehmen als gute Gelegenheit gesehen, die Beschäftigten unter Druck zu setzen. Die letzten Ankündigungen kamen von Lufthansa, easyjet und Airbus.

Die Arbeitslosigkeit trifft vor allem die migrantischen Arbeitenden, aber auch die Jugendlichen. Für Berlin sind die aktuellen Zahlen besonders alarmierend. Viele haben jetzt im Frühsommer Schule und Ausbildung beendet. Aber die Unternehmen sind seit Jahren schon zögerlich bei der Ausbildung und bei Weiterbeschäftigung junger Arbeitender. Jetzt, mit der Wirtschaftskrise, finden generell kaum noch Einstellungen statt. Die Jugendlichen stehen vor verschlossenen Türen. Dazu kommen die vielen befristeten Verträge, die die Unternehmen derzeit lieber auslaufen lassen. Die Gesetzesänderungen vor einigen Jahren, die die Befristung von Arbeitsverträgen erleichtert haben, treffen vor allem die Jungen. Rund 41 % der jungen Beschäftigten sind inzwischen nur noch befristet angestellt. Aber auch viele Studierende haben existenzielle Sorgen. Die Mehrheit hatte Jobs, um sich über Wasser zu halten, von den viele mit den Corona-Maßnahmen weggefallen sind. Die Eltern mögen oft aushelfen können, aber die finanziellen Einschnitte mit Kurzarbeit und Entlassungen treffen oft genug auch die Eltern. Das Virus hat die Jugend weniger stark getroffen, die wirtschaftlichen Folgen treffen sie massiv.

Angriffe auf die Arbeitsbedingungen, unterstützt von den Gewerkschaftsspitzen

Die Unternehmen haben früh auf die Lockerung der Arbeitsrechte gesetzt. Das betraf zum einen die Ausweitung der Arbeitszeit in den „systemrelevanten“ Berufen, beispielsweise in den Krankenhäusern. Aber das war nur der Türöffner für viel weitreichendere Forderungen. Was wir jetzt sehen, ist nur der Anfang. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall, und in ihm die Autobranche, haben im Mai ein Papier mit ihren „Vorschlägen für die 2. und 3. Phase der Corona-Krise“ veröffentlicht. Diese „Vorschläge“ sind eine Kampfansage: Verzicht auf Klimaschutzregeln, Forderung nach staatlichen Konjunkturprogrammen, Kaufprämie für Autos, Rücknahme der Pläne für eine Mindestrente, Ausweitung befristeter Verträge, flexiblere Arbeitszeitregelungen mit längeren Arbeitszeiten pro Tag und kürzeren Ruhezeiten, Rentenkürzungen, Ausweitung der Leiharbeit, Beschränkung der Rechte der Betriebsräte bei Arbeitszeiten und Arbeitsschutz, leichtere Regeln bei Massenentlassungen…. Die Senkung der Arbeitsschutzstandards wegen des Corona-Virus ist dabei einer der zentralen Punkte („der Virus ist letztendlich Teil des allgemeinen Lebensrisikos“) – neben der Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Der Forderungskatalog ist natürlich keine Überraschung.

Die Rolle, die die Leitungen der Gewerkschaften dabei spielen, ist skandalös. So haben die beiden Chefs des Arbeitgeberverbandes und des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu Beginn der Corona-Krise nicht nur offiziell einen Burgfrieden geschlossen. Die Gewerkschaftsapparate haben sich geschlossen hinter die Kurzarbeit und die Forderung nach staatlichen Hilfsprogrammen gestellt. Die IG Metall fordert direkt zusammen mit der Autoindustrie Kaufprämien für Autos und zeigte sich nicht weniger als die Konzernchefs wütend, als die Regierung sich nicht in der Lage sah, sofort alle Forderungen der Autoindustrie zu erfüllen. Die IG Metall hat jetzt im Juni – ziemlich schnell und ohne große Aufmerksamkeit zu erregen – für das wichtige Auto-Bundesland Baden-Württemberg (Westdeutschland) einen Kollektivvertrag (Tarifvertrag) abgeschlossen, der es einzelnen Unternehmen ermöglicht, Löhne zu kürzen, indem Urlaubsgeld und Schichtzulagen wegfallen sollen. Außerdem können – auf jeweils einzelne Unternehmen bezogen – Befristungen ausgeweitet werden. Die IG Metall verkauft das als Erfolg: betriebsbedingte Kündigungen würden so verhindert.

Unter dem Vorwand von Arbeitsschutzmaßnahmen wird die Produktivität gesteigert und werden Löhne gekürzt. In den Autowerken nimmt der Arbeitsdruck zu. Wo früher in Normalschichten gearbeitet wurde, wird beispielsweise Schichtarbeit eingeführt – unter dem Vorwand, dass nicht so viele Menschen gleichzeitig arbeiten sollen um die Abstandsregeln zu wahren. Pausen fallen weg, Betriebskantinen werden geschlossen. Arbeit muss von zu Hause erledigt werden in so kurzer Zeit, dass die vorgegebenen Ziele so nicht zu schaffen sind. Arbeitszeitkonten werden runtergefahren, was den Unternehmen die Möglichkeit gibt, später umso flexibler die Leute nacharbeiten zu lassen.

Nach den Prognosen der Wirtschaftsvertreter steigt im Herbst die Wachstumskurve wieder massiv an. Aber höchstwahrscheinlich steigt in derselben Zeit auch die Kurve der Empörung und Enttäuschung. Die Angriffe der Unternehmen sind massiv und betreffen alle Branchen. Die Kurzarbeit mag ein paar Monate die Wut lindern und gewisse Hoffnung geben. Aber an die Versprechungen, dass Kurzarbeit und Lohnverzicht die Arbeitsplätze retten wird, daran glauben wohl die wenigsten. In der Corona-Krise haben Wirtschaftsleute, die VertreterInnen der Gewerkschaftsspitzen und aller Parteien, einschließlich der Linkspartei, eine große Einheit gebildet. Wut und Enttäuschung könnte sie alle zusammen diskreditieren. Auf welchem Wege wird dann die Wut zum Ausdruck kommen? Hier liegt auch eine Aufgabe für die radikale Linke, selbst wenn sie in Deutschland leider nur schwach in der arbeitenden Klasse verankert ist.

9. Juli 2020

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